Oh das Hören!
Von allen Sinneswahrnehmungen macht das Hören vielen hochsensiblen Menschen die meisten Probleme und führt am stärksten zu Überreizung.
Warum ist gerade das Hören so problematisch und wie können HSP sich und ihre Ohren besser schützen?
Bevor ich zum Schutz vor Geräuschen komme, hier ein paar Informationen dazu, was alles zum Hören gehört.
Wir sagen oft: „Es ist mir zu laut.“
Doch es ist nicht nur die Lautheit des Gehörten, die stresst. Einige Menschen, die hochsensibel sind, machen ja sogar selber laute Musik und gehen gern auf Konzerte. Das Hören besteht jedoch aus vielen Komponenten. Neben Lautheit, sind das Frequenz und Klangfarbe, sowie die Komplexität des Gehörten und die Gewöhnung an Geräusche. Jede einzelne Komponente, sowie alle zusammen können zu Überreizung führen. Ich finde es daher wichtig, das Hören in seiner Komplexität zu betrachten und zu verstehen, welche Komponenten einem selbst Probleme bereiten.
Wie also funktioniert das Hören bei hochsensiblen Menschen?
Hochsensible nehmen mehr akustische Reize wahr und verarbeiten diese tiefer. Das bedeutet, sie hören leise Geräusche, die andere nicht wahrnehmen, und bemerken mehr Nuancen zum Beispiel in der Stimmlage. Es werden aber auch höhere und tiefere Frequenzen noch wahrgenommen. Wir hören also hohes Piepen oder tiefes Brummen als störenden Einzelton oder in einem anderen Geräusch. Außerdem wird beim Hören die Klangfarbe zum Beispiel von Stimmen oder Instrumenten als Reiz wahrgenommen. Und auch die Komplexität von Gehörtem spielt eine große Rolle. Es macht einen Unterschied, ob wir das, was wir hören wollen, in ruhiger Umgebung hören oder es bei Umgebungsgeräuschen wie Straßenlärm, Gerede oder Geschirrgeklapper herausfiltern müssen. Die meisten Menschen blenden Hintergrundgeräusche nach kurzer Zeit aus. Hochsensiblen fällt es schwerer, die Gespräche am Nebentisch oder das Wummern der Waschmaschine nicht wahrzunehmen. Das Hören ist also schon akustisch sehr komplex.
Wenn wir uns unterhalten oder Gesprochenes hören, kommt dann noch die tiefere Verarbeitung von Sprache hinzu, die das hochsensible Gehirn leistet. In geräuschintensiven Umgebungen zum Beispiel in der Schule hat das Gehirn also viel zu viel zu verarbeiten. Es nimmt mehr Reize auf, als es verarbeiten kann. Dadurch kommt es zu Überreizung. Einige hochsensible Menschen merken die Überreizung direkt in der Situation, andere vor allem extrovertiertere Hochsensible „speichern“ die vielen Reize und verarbeiten diese erst in ruhigeren Momenten. Bei ihnen kommt die Überreizung also erst auf dem Rückweg oder zu Hause.
Um nicht dauerhaft zu überreizen, ist es also wichtig, sich vor zu viel Geräuschbelastung und Lärmverschmutzung zu schützen.
Was kann dabei helfen? Welche Hilfsmittel gibt es? Und was können wir selber tun, um uns eine ruhigere Umgebung zu schaffen?
Als erstes ist da natürlich Gehörschutz zu nennen. Ohrstöpsel, die das Ohr vor zu lauten Geräuschen schützen, gibt es aus verschiedenen Materialien. Einige HSP tragen regelmäßig Ohrstöpsel, andere vertragen das Gefühl im Ohr nicht oder finden es unpraktisch, dass auch wichtige Geräusche nicht gehört werden. Gute Alternativen sind Ohrstöpsel, die der Hörgeräteakustiker anpasst oder Gehörschutz für Musiker, der nur bestimmte Frequenzen ausfiltert.
Eine weitere Möglichkeit ist, sich durch selbst gewählte Geräusche zu entspannen. Also zum Beispiel die Lieblingsmusik, Hörspiel oder Podcast über Kopfhörer zu hören. Es gibt aber auch Apps mit Hintergrundgeräuschen wie Katzenschnurren oder Regenprasseln, um unangenehme Geräusche zu überdecken.
Wer sich nicht nur schützen möchte, sondern gleichzeitig Entspannung sucht, kann Entspannungsmusik oder binaurale Beats, die das Gehirn zur Entspannung stimulieren, probieren. Diese Hilfsmittel können dabei unterstützen, sich vor zu vielen Geräuschen zu schützen.
Das Schwierigste ist für viele jedoch, für sich selbst zu sorgen, sich zu trauen, für das eigene Ruhebedürfnis einzustehen. Sätze wie „Stell dich nicht so an“ oder „Sei doch nicht so empfindlich“ haben vielen HSP die Überzeugung gelehrt, sie selbst seien verkehrt, wenn es ihnen zu laut ist. Hier ein Beispiel aus der Praxis dazu.
Ein Klient befürchtete seinen Job, den er gerne machte, wechseln zu müssen, weil er das Radio im Büro nicht mehr ertragen konnte. Er glaubte, dass seine Art der Wahrnehmung falsch sei, dass er mit seiner Überreizung verrückt sei. Die Wahrnehmung der Kollege:innen, die sich bei der Arbeit gern von Gerede und Popmusik berieseln ließen, empfand er als normal. Diese Überzeugungen konnten wir in der Therapie relativieren. Darum bitten, dass Radio abzustellen, konnte er sich trotzdem nicht vorstellen. Schlussendlich verstellte er das Radio auf einen, ihm erträglichen Sender. Die Kolleg:innen nahmen es gar nicht wahr oder begrüßten die neue Hintergrundmusik.
Manchmal geht es in einem ersten Schritt also darum, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen, um besser für sich sorgen zu können.
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